»Der Nachmittag war zur Vorlesung des neuen Trauerspiels bestimmt, wozu sich, gegen vier Uhr, außer Iffland, Beil, Bek, noch mehrere Schauspieler einfanden, die nicht Worte genug finden konnten, um ihre tiefe Verehrung gegen den Dichter sowie über die hohe Erwartung auszudrücken, die sie von dem neuesten Produkte eines so erhabenen Geistes hätten. Nachdem sich alle um einen großen, runden Tisch gesetzt hatten, schickte der Verfasser erst eine kurze Erzählung der wirklichen Geschichte und eine Erklärung der vorkommenden Personen, voraus, worauf er dann zu lesen anfing. […]
Aber der erste Akt wurde, zwar bei größter Stille, jedoch ohne das geringste Zeichen des Beifalls abgelesen, und er war kaum zu Ende, als Herr Beil sich entfernte und die übrigen sich von der Geschichte Fieskos oder andern Tagsneuigkeiten unterhielten.
Der zweite Akt wurde von Schiller weiter gelesen, ebenso aufmerksam wie der erste, aber ohne das geringste Zeichen von Lob oder Beifall angehört. Alles stand jetzt auf, weil Erfrischungen von Obst, Trauben pp herumgegeben wurden. Einer der Schauspieler […] schlug ein Bolzschießen vor, zu dem man auch Anstalt zu machen schien. Allein nach einer Viertelstunde hatte sich alles verlaufen und außer den zum Hause gehörigen war nur Iffland geblieben […].
Aber (Streicher) sollte noch mehr in Verlegenheit gesetzt werden, denn als er eben im Begriffe war, sich über die ungewöhnliche und beinahe verächtliche Behandlung Schillers bei [Regisseur] Herrn Meier zu beklagen, zog ihn dieser in das Nebenzimmer und fragte: ›Sagen sie mir jetzt ganz aufrichtig, wissen sie gewiss, dass es Schiller ist, der die Räuber geschrieben?‹ ›Zuverlässig! wie können sie daran zweifeln?‹ ›Wissen sie gewiss, dass nicht ein anderer dieses Stück geschrieben und er es nur unter seinem Namen herausgegeben? Oder hat ihm jemand anderer daran geholfen?‹ ›Ich kenne Schillern schon im zweiten Jahre, und will mit meinem Leben dafür bürgen, dass er die Räuber ganz allein geschrieben […] hat. Aber warum fragen sie mich dieses alles?‹ ›Weil der Fiesko das allerschlechteste ist, was ich je in meinem Leben gehört; und weil es unmöglich ist, dass derselbe Schiller, der die Räuber geschrieben, etwas so Gemeines, Elendes sollte gemacht haben.‹
Die Abendstunden wurden von den Anwesenden mit größter Verlegenheit zugebracht. Von Fiesko erwähnte niemand mehr eine Silbe. Schiller selbst war äußerst verstimmt und nahm mit seinem Gefährten zeitlich Abschied. Bei dem Weggehen ersuchte ihn Meier, ihm für die Nacht das Manuskript dazulassen, indem er nur die zwei ersten Akte gehört und doch gerne wissen möchte, welchen Ausgang das Stück nehme. Schiller bewilligte diese Bitte sehr gerne.
Mit bangen Erwartungen wegen des Endurteils, was über Fiesko und seinen Verfasser gefällt werden sollte, begab sich S. (Streicher) den ändern Morgen ziemlich frühe zu Herrn Meier, der ihn kaum ansichtig wurde, als er ausrief: ›Sie haben Recht! Sie haben Recht! Fiesko ist ein Meisterstück und weit besser bearbeitet als die Räuber. Aber wissen sie auch, was schuld daran ist, dass ich und alle Zuhörer es für das elendeste Machwerk hielten? Schillers schwäbische Aussprache und die verwünschte Art, wie er alles deklamiert. Er sagt alles in dem nämlichen, hochtrabenden Tone her, ob es heißt ›Er macht die Türe zu‹ oder ob es eine Hauptstelle seines Heiden ist. Aber jetzt muss das Stück in den Ausschuss kommen, da wollen wir es uns vorlesen und alles in Bewegung setzen, um es bald auf das Theater zu bringen.«1
Ende gut, alles gut. Uraufgeführt aber wurde Schillers Fiesko dennoch nicht am Mannheimer Nationaltheater, sondern am 20. Juli 1783 am Hoftheater in Bonn. Bereits im April 1783 war die Buchausgabe des Stücks bei der Schwanischen Hofbuchhandlung in Mannheim erschienen.
P.S.
Zurück zu den Stimmen, die wir auch heute noch hören können. Das Forschungsprojekt ›textklang: Mixed-Methods-Analyse von Lyrik in Text und Ton‹ wird Ende März durch einen Relaunch der Seite dichterlesen.net ergänzt – ein digitales Tonarchiv zum Nachhören literarischer Veranstaltungen aus über 60 Jahren deutscher und internationaler Literaturgeschichte.
Dietmar Jaegle
Beitragsbild: Besonders risikoarm: leises Lesen ohne Publikum. Der lesende Schiller. Scherenschnitt von Luise Duttenhofer. Foto: DLA Marbach.
- Andreas Streichers Schiller-Biographie, hrsg. von Herbert Kraft, Mannheim/Wien/Zürich 1974. Rechtschreibung und Interpunktion modernisiert. [↩]
Ein Kommentar auf “Dichter lesen. Folge 1: Schillers Desaster”
fast ein Fiasko der Fiesko! Eine rundum vergnügliche Geschichte!