Frau, Leben, Freiheit. Aktuelle Proteste im Iran

Es sind drei Worte, die seit Mitte September 2022 um die Welt gehen und für den Kampf um Freiheitsrechte besonders der Frauen im Iran stehen. Weltweit werden die drei kurdischen Worte ›Jin, Jiyan, Azadî‹ – auf Deutsch: Frau, Leben, Freiheit – an Häuserwände gesprüht, als Banner gehisst und als Zeichen der Solidarität gepostet, geshared und geliked. Die Parole, die aus der kurdischen Freiheitsbewegung der 1990er-Jahre stammt, hat in den letzten Monaten international traurige Berühmtheit erlangt.


Nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini, die im September 2022 starb, nachdem sie bei einem Besuch in Teheran in Polizeigewahrsam genommen wurde, breiteten sich regimekritische Proteste im Iran aus, auf die der iranische Machtapparat mit brutaler Gegenwehr reagiert. Schon der Name ›Jina‹ birgt die Geschichte von Unterdrückung und Kampf um Freiheit: Das kurdische ›Jina‹, im Iran verboten, bedeutet ›lebendig‹ und kehrt nun wieder im Ruf ›Jin, Jiyan, Azadî‹.


Das Ringen um grundlegende, umfassende Freiheitsrechte, um Meinungsfreiheit, um Frauenrechte ist dabei von Anfang an eng verbunden mit dem Kampf um freie und öffentliche Rede. Journalist/-innen und Aktivist/-innen berichten einhellig, dass der Tod Jina Mahsa Aminis vor allem deshalb zum zündenden Moment für die inzwischen landesweiten Proteste werden konnte, weil die Familie der jungen Frau nicht das tat, was verlangt wurde, nämlich zu schweigen. Der von oben gewünschten Vertuschung stellte sie das freie Wort entgegen. Damit setzte sie eine gesellschaftsweite Protestbewegung in Gang, die sich nun seit rund fünf Monaten nicht zum Schweigen bringen lässt und der Gewalt des islamischen Staates bis heute mit Beharrlichkeit und Mut entgegentritt.


Die Frage, wie Öffentlichkeit für die Proteste hergestellt werden kann, beschäftigt nicht nur die Bevölkerung im Iran, wo Online-Dienste beschnitten werden, ein offener Nachrichtenfluss ins Ausland nicht ohne weiteres möglich ist. Plakate, die die Protestierenden auf Englisch hochhalten, richten sich nicht an die iranische Bevölkerung oder an das Regime, sondern an eine Weltöffentlichkeit, von der man sich Unterstützung und entschiedenes Handeln erhofft.

Damit einher geht auch die Frage, welche Rolle (deutschen) Kulturinstitutionen dabei zukommt und zukommen kann: Welche Verpflichtung zum Bekenntnis, welche Reichweite haben sie, wie viel Einfluss können sie geltend machen? Dass bei der Beantwortung dieser Frage gerade ein Blick in die deutsch-iranische Vergangenheit lehrreich sein kann, hat ein Abend am Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) erwiesen, bei dem die Germanistin Nacim Ghanbari (Universität Siegen) zu Gast war. Zusammen mit Anna Kinder vom DLA hat sie sich mit uns auf Spurensuche ins Archiv begeben und den Verflechtungen der deutsch-iranischen Protestgeschichte nachgespürt. Dabei sticht ein Jahr besonders ins Auge, nämlich das Jahr 1977, in dem nicht nur der Verleger Siegfried Unseld gemeinsam mit dem Schriftsteller Thomas Bernhard im Frühjahr den Iran besucht und es in Deutschland einen ›deutschen Herbst‹ gibt – es ist auch das Jahr, in dem das Goethe Institut in Teheran zu einem Ort der aktiven politischen Auseinandersetzung wird.


Gemeinsam mit der oppositionellen Schriftstellervereinigung organisierte das Goethe Institut im Herbst 1977 eine Folge von Dichterlesungen, die als die ›Zehn Abende der Poesie‹ in die Geschichte eingehen sollten. Als deutsche Einrichtung wurde das Goethe Institut dabei zu einem sicheren Hafen, der im begrenzten Rahmen der Zehn Abende das Unmögliche möglich machen konnte, nämlich die Versammlung der oppositionellen, intellektuellen Dichter/-innen und Schriftsteller/-innen vor einem großen Publikum und mit freier Rede. Die Lesungen wurden von über 10.000 Zuhörer/-innen verfolgt. Da die Räume des deutsch-iranischen Kulturvereins nicht ausreichten, standen die Menschen auf den Straßen und hörten über Lautsprecher ihren Dichter/-innen zu. Diese Zehn Abende und das gemeinsame Laufen durch die Straßen nach den Lesungen gehören noch heute für viele Zeitzeug/-innen zu den prägenden vor-revolutionären Erfahrungen. Für viele Iraner/-innen fängt die Revolution von 1979 mit dieser kulturellen Veranstaltung an.


Richten wir den Blick wieder auf die Gegenwart, so sollte gerade an einem Ort wie Marbach am Neckar, an dem einer der berühmten Freiheitsdenker geboren wurde, nicht geschwiegen werden. Das Momentum der Veranstaltung nutzend, hatte sich ein kleiner Kreis an Mitarbeiter/-innen des DLA entschlossen, am Vorabend des 44. Jahrestages der iranischen Revolution am 11. Februar 1979, an deren Ende das heutige Regime an die Macht kam, auch auf der Marbacher Schillerhöhe ein Zeichen zu setzen und das Schillerdenkmal mit den Worten der Freiheitsbewegung zu versehen. Für Frau, Leben, Freiheit tritt nun auch Friedrich Schiller ein.

Dass die Botschaft an dem folgenden Frühlingswochenende, das zahlreiche Besucher/-innen auf die Schillerhöhe zog, auch von Marbacher Bürger/-innen wahrgenommen wurde und zu besorgten Nachfragen bei Stadt und Presse führte, freut die Initiator/-innen. Auf den Social Media-Kanälen des DLA bekam ein Foto des Banners viel positive Aufmerksamkeit, darunter von zahlreichen verwandten Kulturinstitutionen, vom Buddenbrookhaus über die Klassik Stiftung Weimar bis zum Staatsarchiv Schaffhausen. Auch die Ludwigsburger Kreiszeitung berichtete mit Bild und trug den Aufruf weiter in die Region.


Und so bleibt uns, mit Schiller die Hoffnung auf ein Ende der gewaltsamen Unterdrückung im Iran zu formulieren: »Hohl ist der Boden unter den Tyrannen, / Die Tage ihrer Herrschaft sind gezählt, / Und bald ist ihre Spur nicht mehr zu finden.“ (Friedrich Schiller, Wilhelm Tell)


Dîlan Canan Çakir, Nikola Herweg, Anna Kinder, Stephanie Obermeier, Rebecca Sturm, Kai Uwe Peter, Birgit Wollgarten

 

Beitragsbild: DLA Marbach.

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