Die Erzählung Djalapita und einen Gedichtband in Celans Bibliothek hat die Autorin mit einer handschriftlicher Widmung versehen. Emma Andijewska und Paul Celan sind einander 1968 begegnet. 1991 nahm Emma Andijewska an einem Paul Celan gewidmeten Projekt in Czernowitz teil, das dem Thema Emigration gewidmet war. Es ging um Emigration als innerer Zustand jedes Künstlers, ein Zustand, der ständig zur Bewegung auffordert und nach Orientierung suchen lässt, um ein eigenes Kunst-Universum zu gestalten.
Emma Andijewskas Held Djalapita ist ein lustiger Kerl. Wenn er auf Reisen geht, hat er in der Hosentasche immer eine Ersatzlandschaft dabei. Er eröffnet ein Büro, in dem man Himmelstale, Wolkenbrunnen, Schiebewolken mit oder ohne Donner mieten kann. Die Arbeitslosen dürfen umsonst mieten, die Wohlhabenden zahlen nach ihren finanziellen Möglichkeiten. In diesem Büro kann man auch eine Landschaft aus Erinnerungen mieten.
Außerdem erfindet Djalapita einen Klebstoff, mit dem man die angenehmen Momente auf Jahre ausdehnen und die unangenehmen extrem verkürzen kann, und Regen, der alle Krankheiten heilt, sogar Liebeskummer.
Einmal kommen die dicken und dünnen Leute zu ihm, die nicht zusammen baden können: Die Dünnen meinen, dass die Dicken zu viel Wasser aus dem Fluss verdrängen, die Dicken meinen, dass die Dünnen das Wasser viel zu flach machen fürs Schwimmen. Djalapita hört beiden Parteien zu und erfindet dann zwei Sorten Badewasser – für die Dicken und für die Dünnen. Djalapita denkt sich auch ein Sieb aus, durch das man die Menschen verändern kann: Schlechte Menschen, die durch diesen Sieb gehen, verwandeln sich in gute Menschen. Aber das Sieb wird aus Staatssicherheitsgründen verboten.
Emma Andijewska wurde 1931 im sowjetischen Donezk geboren, das damals noch Stalino hieß. Als Kind hatte sie eine Tuberkulose der Wirbelsäule und lernte überwiegend zu Hause. Wegen ihrer Gesundheit musste die Familie umziehen und landete 1939 in Kyjiw. 1943 befreite die Rote Armee das von den Deutschen besetzte Kyjiw, und Emmas Vater, ein Chemiker und Erfinder, wurde als Kollaborateur ohne Prozess hingerichtet. Man hat vermutet, dass er seinen wissenschaftlichen Arbeiten an die Deutschen übergeben hat. Zusammen mit ihrer Mutter flüchtete Emma nach Deutschland, zuerst in die britische Besatzungszone Berlins, dann nach München, wo die Schriftstellerin bis heute lebt.
Emma Andijewska studierte in der Ukrainischen Freien Universität in München Philosophie und Philologie. In den 50er-Jahren lebte Emma Andijewska in den USA und erhielt dort die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sie war mit dem ukrainischen Literaturkritiker, Essayisten und Schriftsteller Iwan Koscheliwetz verheiratet und arbeitete viele Jahre für das Radio Free Europe in München.
Emma Andijewska veröffentlichte 29 Gedichtbände und acht Prosabücher, außerdem malte sie über 9.000 Bilder. Für die meisten ihre Gedichte wählte sie die Form des klassischen Sonetts. Ihre Prosa imitiert oft die Form des Märchens, ist aber genauso wie ihre Dichtung voll komplizierter Assoziationen und philosophischer Inhalte. In ihren Gedichten lässt sie oft die Verben aus, damit die Leser selbst nach passenden Worten suchen können. Man kann ihre Texte sehr unterschiedlich interpretieren, sie spielen mit zahlreichen Metaphern und kulturhistorischen Kontexten und sind eine herausfordernde Lektüre.
Ihre Texte werden von den Literaturwissenschaftlern als postmodern, hermetisch und surrealistisch bezeichnet. Die Sprache von Emma Andijewska ist außergewöhnlich, sie benutzt sehr viele Archaismen und konstruiert in ihrer Dichtung ganz unerwartete Wortverbindungen, in denen Begriffe aus unterschiedlichen Wissensgebieten zusammenkommen. Ihre Verse werden mit den Gedichten von Stéphane Mallarmé verglichen. All diese Strömungen wurden in der Sowjetunion als schädlicher Formalismus verboten. Deswegen war Emma Andijewska in der sowjetischen Ukraine nicht bekannt. Ihre Texte und Bilder gehorchen nicht den Regeln des offiziellen sozialistischen Realismus. Außerdem gehörte sie wie alle Emigranten zu den Volksfeinden. Erst 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, konnte sie wieder die Ukraine besuchen.
Emma Andijewska gehört zu den Künstlern, die niemanden gleichgültig lassen. Ihre emotionelle und fantasievolle Kunst genauso wie ihre extravagante Persönlichkeit veranlassen Kritiker und Publikum zu ganz unterschiedlichen Reaktionen – von Begeisterung bis zur Verwunderung und Ablehnung. Ihre Fantasie kennt keine Grenzen, weder in der Malerei noch in der Dichtung oder Prosa. Ein häufiges Motiv in der Dichtung, Prosa und Malerei von Andijewska sind Menschen mit mehr als fünf Fingern. In ihrem Text Märchen über zwei Finger erzählt sie von zwei unsichtbaren Fingern an der Hand, die die meiste Arbeit erledigen.
Die Prosa von Emma Andijewska ist voller politscher Anspielungen. In ihren Romanen beschreibt sie die Unterdrückungen der Ukrainer in der Sowjetunion, in den Lagern, während des Hungertods in den 30er-Jahren, versteckt das aber hinter fantastischen und metaphorischen Kulissen. In ihrer Prosa versucht sie oft so genannte ›runde Zeit‹ zu verwenden, um zu zeigen, dass die Zeit nicht linear abläuft, sondern vieles gleichzeitig geschieht. Das führt zu sehr komplizierten grammatikalischen Konstruktionen. Mit ihren bis zu 15 Seiten langen Sätzen und vielen Nebensätzen versucht Andijewska die Gleichzeitigkeit der Ereignisse in der Welt wiederzugeben. Emma Andijewska bietet aber nicht nur komplizierte Formen und Inhalte, sondern auch viel Ironie und Humor. Ein oft zitierten Satz von ihr lautet: »Einem Mann genügt es, begabt zu sein, die Frau muss aber unbedingt als Genie geboren zu werden«.
Foto Natalka Sniadanko: Katheryna Slipchenko.