Die Kenntnis, nicht den Ruhm der Klopstock’schen Werke hat schon Lessing bezweifelt: »Wer wird nicht einen Klopstock loben? / Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.«1 Für Christian Dietrich Grabbe waren Leben und Werk des einst gefeierten Dichters nur noch Anlass für einen Scherz am Rande. In seinem grotesk-genialen Lustspiel Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung von 1822 dient Klopstocks 20.000 (!) Hexameter langes Epos Der Messias dem Teufel höchstselbst buchstäblich als »unfehlbares Schlafmittelchen«; mancher Leser mochte damals bereits mit ihm geseufzt haben: »Ich brauche nur drei Verse darin zu lesen, dann bin ich so müde wie der Daus [= Teufel].«
Heute löst der Name ›Klopstock‹ in der literarischen Öffentlichkeit vermutlich nicht einmal mehr Spott oder Ablehnung aus, sondern bestenfalls hilflose Verlegenheit: »Friedrich Gottlieb Wer?« Zu Lebzeiten des Autors vermochte die bloße Nennung seines Nachnamens ein empfindsames Liebespaare zusammenzuführen – man lese die Gewitterszene in Goethes Werther; Klopstocks patriotischer Geist inspirierte den stürmenden und drängenden Jünglingsbund des Göttinger Hain um Voß und Hölty, sein protestantisch-pietistisch-genialisches Gotteslob hielt angeblich sogar Nonnen von ihrer religiösen Pflicht ab.
Klopstock, als ältestes von 17 Kindern am 2. Juli 1724 in Quedlinburg geboren, hatte schon als Schüler klare Ziele: Gotteslob und Dichtkunst wollte er verbinden, zur Ehre seines Schöpfers (freilich), des deutschen Vaterlandes (freilich auch) – und seiner selbst. Ehrgeiz und profunde Schulbildung an der Fürstenschule Pforta halfen, den Vorsatz in die literarische Tat umzusetzen: 1748 veröffentlichte der bisherige Studiosus Theologiae und Philosophiae die ersten drei Gesänge des Messias. Die abstrakte Emphase dieses »Heldengedichts«, das sich keiner Orthodoxie fügt (und im 19. Gesang sogar von der Erlösung eines Teufels weiß), war ebenso befreiend neu wie Klopstocks schwärmerische Sprache, die aller aufklärerischen Vernunft und Schulbuch-Grammatik zuwiderlief. (Lichtenberg spottete: »Klopstock hebt an: ›Du, der Du niedriger bist als ich, – und dennoch mir gleich – befreie mich von der Last des staubauffangenden Kalbfells!‹ – Während ich einfach sage: ›Johann, zieh mir die Stiefel aus.‹«)
Der Messias machte Klopstock berühmt. Der Dichter Johann Jakob Bodmer lud ihn 1750 zu sich ins reformiert-pietistische Zürich ein. Als er acht Monate später die Stadt verließ, veröffentlichte Klopstock anonym Verse, die klar machen, dass Klopstock die frommen Erwartungen seines Gastgebers nicht erfüllt hat: »… ein Seufzer, mit vollem Verlangen, mit voller Entzückung, / ausgedrückt, auf einen zitternden blühenden Mund, / ein beseelender Kuss, ist mehr, als hundert Gesänge, / mit ihrer ganzen langen Unsterblichkeit wert.«
Eine Pension des dänischen Königs, verbunden mit einem fast zwei Jahrzehnte währenden Aufenthalt in Kopenhagen, sollte es dem Dichter ermöglichen, sein Epos von »der sündigen Menschheit Erlösung« zu vollenden – erst 1773 war’s endlich vollbracht. Auf der Reise nach Dänemark lernte Klopstock Margareta (Meta) Moller kennen, die er 1754 heiratete. Meta starb 1758 bei einer Totgeburt; ihren Tod hat der Dichter wohl nie verwunden.
›Hauptberuflich‹ zwar Messias-Dichter, leistete Klopstock doch als Erneuerer der deutschen Ode sein Bestes: Orientiert an den reimlosen Strophenformen der Antike, später auch in freien Rhythmen und eigenen Metren, ist ihm ein breites Spektrum von Themen die Vers-Rede wert: die zunächst freudig begrüßte Französische Revolution ebenso wie Freunde und Freundinnen, die Freude des Schlittschuhlaufens, eine Bootsfahrt auf dem Zürichsee und die Wehmut einer Mondnacht.
Abstrakter, mitunter auch angriffslustig geht es in Klopstocks Epigrammen zu. Die Überschriften sind oft explizit: An einige Verurteiler des deutschen Hexameters oder An die Verächter der Regel. Vermutlich unrettbar in der Mottenkiste der Literaturgeschichte vergraben aber sind Klopstocks biblische und vaterländische Lese-Dramen wie Hermanns Schlacht und Der Tod Adams. Und schließlich gibt es noch den eigenwilligen Entwurf einer Deutschen Gelehrtenrepublik (1774), Klopstock umfangreichste theoretische Schrift. Die jüngere Forschung erkennt in diesem Text den »literarischen Extremisten« und Experimentator« Klopstock, dessen Gelehrtenrepublik »wenig mit der humanistischen Tradition der Gelehrtenrepubliken zu tun hat, dafür aber viel mit Hölderlin oder Nietzsche, Mallarmé, Valéry oder Heidegger« (Steffen Martus). Arno Schmidt zollte dem Werk seinem Respekt, in dem er seinen 1957 geschriebenen dystopischen Roman unter eben diesem Titel veröffentlichte.
Ein merkwürdiger Reiz geht auch heute noch von manchen Strophen und Versen Klopstocks aus, die von Hölderlin bis Bobrowski Wirkung zeitigten. Franz Schubert setzte eines seiner schönsten Gedichte in Musik:
Das Rosenband
Im Frühlingsschatten fand ich Sie;
Da band ich Sie mit Rosenbändern:
Sie fühlt’ es nicht, und schlummerte.
Ich sah Sie an; mein Leben hing
Mit diesem Blick’ an Ihrem Leben:
Ich fühlt’ es wohl, und wußt’ es nicht.
Doch lispelt’ ich Ihr sprachlos zu,
Und rauschte mit den Rosenbändern:
Da wachte Sie vom Schlummer auf.
Sie sah mich an; Ihr Leben hing
Mit diesem Blick’ an meinem Leben
Und um uns ward’s Elysium.
Weltberühmt wurde Worte Klopstocks ausgerechnet durch ein Nebenprodukt aus seiner Vers-Schmiede: Gustav Mahler vertonte die ersten beiden Strophen von Klopstocks geistlichem Lied Die Auferstehung im Finalsatz seiner 2. Sinfonie: »Auferstehn, ja auferstehn wirst du«.
Klopstock starb – längst zum Denkmal seiner selbst geworden – am 14. März 1803 (also vor 220 Jahren) in Hamburg, wo er seit 1770 mit kurzer Unterbrechung gelebt hatte. Begraben wurde er unter der Teilnahme Zehntausender Bürger.
Dietmar Jaegle
Beitragsbild: Klopstocks ›Cidli‹ (›Das Rosenband‹) in einer Abschrift von 1768 für den Grafen von Welsperg. Foto: DLA Marbach.
- Lessings Vierzeiler endet mit einer wohl noch heute gültigen Bitte: »Wir [Autoren] wollen weniger erhoben / Und fleißiger gelesen sein.« [↩]