Am Samstag war es soweit – auch in Lviv sind Bomben gefallen

Einen Monat und drei Tage lang galt meine Heimatstadt Lviv als der sicherste Ort in der heutigen Ukraine. Falls das Wort ›sicher‹ für die Verhältnisse in der heutigen Ukraine überhaupt noch relevant ist. Es heißt nicht, dass es in Lviv keine Luftalarmsignale gab. Ganz im Gegenteil, es gab sie dort täglich, alle paar Stunden. Auch nachts, fast jede Nacht. Ich weiß es immer ganz genau, wann der Alarm anfängt und wann er aufhört. Man erfährt es, wenn man eine App installiert hat. Ich habe sie installiert, obwohl ich sie eigentlich nicht brauche, denn hier in Marbach gibt es keine Luftalarmsignale. Jedenfalls zurzeit. Aber ich will meine Verwandten, meine Freunde und meinen Mann in Sicherheit wissen. Falls das Wort ›Sicherheit‹ für Verhältnisse der heutigen Ukraine überhaupt noch relevant ist.


Ich rufe und schreibe nachts niemanden an, um zu kontrollieren, ob sie in Sicherheit sind. Erst am nächsten Tag. Oft schlafen Leute in Lviv während des Luftalarms in ihren Betten, statt in den Schutzraum zu gehen. Sie sind zu müde, um immer wieder in den Schutzraum zu rennen. Sie sind sich nicht mehr sicher, ob die Schutzräume tatsächlich mehr Schutz bieten, es sind doch schließlich meistens einfache Keller oder Parkhäuser. Und im Vergleich zu anderen Städten galt Lviv bis jetzt als sicher, hier wurde noch nichts zerstört, hier wurde noch niemand in diesem Krieg erschossen. Von hier aus ist der Krieg immer noch etwas entfernt.


Aber er kommt immer näher. Vor ein paar Wochen fielen in der Nähe Bomben, auf dem militärischen Versuchungsgelände. Es gab viele Verwundete und Tote. Seit einer Woche ist mein Mann auf diesem Versuchungsgelände. Er wurde eingezogen und zur Schulung dorthin geschickt. Seitdem schlafe ich noch schlechter und überprüfe noch öfter am Telefon, ob in meiner Heimatstadt und der Umgebung alles in Ordnung ist. Falls das Wort ›Ordnung‹ für Verhältnisse der heutigen Ukraine überhaupt noch relevant ist.

Am Samstag war es soweit – auch in Lviv sind Bomben gefallen. Zwei Mal. Ganz in der Nähe von unserer Wohnung und von der Wohnung meiner Eltern. Ich habe in dem Moment mit einer Freundin telefoniert, die jetzt in unserer ehemaligen Wohnung lebt, sie sah die Explosionen aus ihrem Fenster. Dieses Fenster ist früher auch mein Fenster gewesen.

Im Kindergarten, wohin mein Sohn vor vielen Jahren gegangen ist, sind Fensterscheiben kaputt gegangen, das las ich in den Medien. Und ich dachte – gut, dass es am Samstag passiert ist, es waren keine Kinder in diesem Kindergarten. Das Wort ›gut‹ kommt mir in diesem Zusammenhang auch fremd vor, genauso wie ›Sicherheit‹, oder ›Ordnung‹. Ukrainische Realität ist jetzt weit von solchen Kategorien entfernt.


Ich eigentlich auch. Darum schlafe ich in der letzten Zeit ausgesprochen schlecht. Obwohl ich eigentlich in Sicherheit bin. Und meine Kinder sind es auch. Wir sind hier, in Marbach, wo keine Bomben fallen. Zumindest zurzeit.


Beitragsbild
Foto Natalka Sniadanko: Katheryna Slipchenko.


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