kommt die sprache abhanden? überlegung zur digitalisierung

Das Gespenst der Digitalisierung geistert durch die Debatte ›Kommt die Literaturwissenschaft abhanden?‹ Die Beiträge diskutieren die beschleunigten Affekt- und Aufmerksamkeitsökonomien im digitalen Zeitalter, beschwören eine Medienkonkurrenz zwischen Buch und Bildschirm und erwägen die Möglichkeiten quantitativer Analyseverfahren im Zeichen der sogenannten Digital Humanities.

 

Nicht angesprochen wird dabei die Tatsache, dass Texte vermehrt nicht von Menschen, sondern von Maschinen geschrieben und gelesen werden. Die monetäre Verwertung von Suchergebnissen durch Firmen wie Google hat dazu geführt, dass Sprache im Internet  vermehrt auf die Logik der Suchmaschinen hin zugerichtet wird. Der von neuronalen Netzwerken beschleunigte Fortschritt der künstlichen Intelligenz hat außerdem ein Arsenal an Textgeneratoren hervorgebracht, welche bereits Essays verfertigen, die kaum noch von menschlichen Schreibergüssen unterschieden werden können. Beiden Entwicklungen ist gemeinsam, dass sie Sprache und Text radikal auf Daten reduzieren, die in großer Menge gesammelt und damit re-kombinierbar gemacht werden. Dieses Verfahren neigt dazu, schädliche Stereotype und Denkweisen zu reproduzieren. Die zeitgenössische Literatur, ob sie sich nun explizit auf diesen Trend bezieht oder nicht, ist unausweichlich in das digitale Medienumfeld eingebunden. Denn was passiert mit dem Status von Sprache, wenn diese durch Algorithmen vermitteln und uns in entfremdeter Gestalt widerspiegeln? Was, wenn Literatur von Maschinen geschrieben wird, die auf ein Reservoir an Big Data zurückgreifen, welches die menschliche Erinnerungsfähigkeit bei Weitem übersteigt?

 

Die Medienwissenschaftlerin Wendy Hui Kyong Chun argumentiert, dass die Zeitlichkeit digitaler Medien von einer andauernden Ephemeralität  geprägt ist. Basierend auf der Materialität digitaler Speicher und der ständigen Notwendigkeit von Updates erzeugen diese Medien einen flüchtigen Strom des Immergleichen. Obwohl das Internet vom ständig Neuen geprägt zu sein scheint, bringt es doch nur Variationen des bereits Bekannten hervor. Im beständigen Buchformat, so mein Argument, kann die Literatur diese Flüchtigkeit anhalten und durch Form erfahrbar machen. Die ästhetische Form erlaubt es uns, die ephemeren Medien zu verstehen, was deren Kritik allererst ermöglicht. In diesem Sinne sollte die Literaturwissenschaft das Digitale nicht lediglich als ein Instrument begreifen und dessen quantitative Logik dabei schlicht reproduzieren. Vielmehr sollte sie in Form der von Christian Kirchmeier vorgeschlagenen germanistischen Medienkulturwissenschaft daran gehen, die Digitalisierung verstehbar zu machen. An dem altehrwürdigen Medium der Literatur geschult, kann sie dazu ansetzen, die Komplexität der digitalen Medienlandschaft zu durchdringen und die Vereinnahmung der Sprache durch ökonomische Kalküle kritisch zu durchleuchten. Wenn die Sprache und damit unser kritisches Denkvermögen abhanden zu kommen drohen, ist es an der Literatur und in ihrem Gefolge auch an der Literaturwissenschaft durch geformte Sprache zur Rettung schreiten.

 

Jonas Teupert (National Taiwan University)

 

Beitragsbild: Löschblatt von Gertrud von Le Fort.

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