außer der reihe 1: albrecht von haller

Noch seinen verlöschenden Puls soll Albrecht von Haller kommentiert haben, als er am 12. Dezember 1777 in seiner Geburtsstadt Bern starb: »il bat, il bat, il bat – plus«. Letzte Worte, die den ganzen Mann bezeichnen: den aufklärerisch-forschenden Naturwissenschaftler, den Poeten mit dem Blick fürs oft kuriose Detail und einen zwanghaft unermüdlichen Charakter.

 

Haller, am 16. Oktober 1708 als Sohn eines Verwaltungsbeamten geboren, wird als kränkliches Kind von Hauslehrern unterrichtet. Mit neun Jahren, so wird berichtet, verfasst er u.a. ein hebräisches und griechisches Wörterbuch sowie eine chaldäische Grammatik. Die Grundlagen solcher und anderer superlativischer Leistungen (neben überragender Intelligenz) hat sein Schüler Johann Georg Zimmermann benannt: »ungemeinen Fleiß«, »feurigen Eifer, sich zu erheben«, »unumschränkte Geduld in der Arbeit«. Als Haller zwölf Jahre alt ist, stirbt der Vater, die Mutter hatte er schon früher verloren. Der Vormund gibt ihn zu einem Arzt in die Lehre, mit 15 Jahren beginnt Haller in Tübingen das Studium der Naturwissenschaften, das er ab 1725 in Leyden auf breiter Basis fortsetzt; er hört Medizin, Botanik und Chemie (die Mathematik betreibt er später ebenfalls professionell), nimmt an Sektionen teil. Mit 19 Jahren ist er Dr. med. In London und Paris lernt er die bedeutendsten Ärzte seiner Zeit kennen, ist Zuschauer bei ihren Operationen.

 

Eine Studienreise 1728 in die Alpen bringt doppelte Früchte: botanische Studien und ein langes Lehrgedicht, mit dem Haller sich in die deutsche Literaturgeschichte einschreibt (drei politische Romane aus 70er-Jahren bleiben ohne größere Wirkung). Die 49 Alexandriner-Strophen der Alpen (1729) machen – neben dem Unvollkommenen Gedicht über die Ewigkeit und der Trauerode, beim Absterben seiner geliebten Mariane – das wohl wichtigste Gedicht in den rund drei Dutzend Gedichten aus, die 1777 in der elften und letzten rechtmäßigen Auflage des Versuchs Schweizerischer Gedichte enthalten sind. Popularphilosophisches Gedankengut – Zivilisationskritik und Lob des (idealisierten) Älpler-Lebens – verbindet sich mit konkreter Naturschilderung (basierend auf eigener Anschauung). Diese Mischung ist attraktiv und findet zahlreiche Nachahmer. Noch Schiller hat sich für Hallers lyrisch-rhetorisches Amalgam aus abstraktem Erkenntnisinteresse und Blick für Details begeistert, gehörte der Versuch Schweizerischer Gedichte doch zu den wenigen Büchern, die er 1782 auf seiner Flucht aus Stuttgart im Gepäck hatte.

 

Hallers Fleiß zahlt sich aus: In Göttingen hat er 17 Jahre einen Lehrstuhl für Anatomie, Chirurgie und Botanik inne; Berufungen nach Berlin, Utrecht und Oxford lehnt er ab. Haller, als Universalgelehrter eine europäische Berühmtheit, wird 1749 in den erblichen Adelsstand erhoben, als Mitglied unzähliger Akademien korrespondiert er mit rund 1200 Kollegen in ganz Europa. Und sehnt sich doch heimlich zurück in seine Heimatstadt, mit deren Patriziat er sich’s aufgrund seiner aufklärerischen Verse verdorben hatte. 1753 fällt Haller durch Los die Stellung eines Rathausamtmanns in Bern zu, er verlässt Göttingen. Die Hoffnung auf eine politische Karriere in der Schweiz geht nicht in Erfüllung. Haller, der den Tod zweier Ehefrauen und eines Sohnes hinnehmen muss, wird im Alter melancholisch, politisch und religiös konservativ. Die Kraft zur Arbeit, die ihm stets Therapeutikum und Narkotikum zugleich war, lässt nach; da hilft auch die Selbstmedikamentierung mit Opium nicht immer. Hallers Lebenswerk, 600 Publikationen und 9000 Besprechungen für den Göttingischen Gelehrten Anzeiger, war nicht umsonst zu haben gewesen. Bereits 1741 hatte er Bilanz gezogen: »Ich arbeite, ich leide: darin besteht mein ganzes Leben.«

 

Dietmar Jaegle

 

Zum neuen Online-Katalog des DLA geht es unter:

https://www.dla-marbach.de/katalog-ng/

Ein Kommentar auf “außer der reihe 1: albrecht von haller”

  1. Thomas Meyer sagt:

    Eine überaus interessante Person: Danke für den Beitrag!

    Im Katalog findet man Albrecht Haller und die doch recht wenigen verknüpften Katalogisate nach kurzer Suche unter

    https://www.dla-marbach.de/find/opac/id/PE00018806

kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Ich akzeptiere die Datenschutzhinweise gemäß DSGVO.