›laß leuchten!‹ pia frankenberg über peter rühmkorfs gedicht

Laß leuchten!

 

Weißt du noch wie du noch Kletten im Haar,

Knöpfe in der Kollekte .   .   .

als das Leben anfänglich war

und nach weiterem schmeckte?

 

Weißt du noch wie du noch Wasser im Blick,

flußweis oder im Kübel –

Spar dir die Zeit und vertreib nicht das Glück

mit deinem Rückwärtsgegrübel.

 

Alles ist schon son bißchen Schieschie,

nichts geht mehr lustig vonstatten;

wie sich auf einer Beerdigung die

Lebensbäume begatten.

 

Langsam bis in die Krone verfilzt;

Ausfälle nicht mehr zu leugnen.

Dabei weißt du genau, was du willst:

einmal dich richtig ereignen –

 

Aus dem Kopf oder nach der Natur

deine Blätter entrollen .   .   .

Ich selber habe auch eigentlich nur

diesen Herzschlag mitteilen wollen.

 

Wie mir die Welt in die Augen-da sticht,

Wünsche, die wir verscheuchten –

Mach nicht son blödes blindes Gesicht.

Laß deine Anlagen leuchten!

 

Was zeichnet Laß leuchten! vor anderen Gedichten aus?

Pia Frankenberg   Laß leuchten! ist ja relativ einfach strukturiert, man könnte sagen, dass das gegen das Gedicht spricht. Ich sehe das vollkommen anders. Es ist großartig, weil es mit scheinbar einfachen Mitteln eine unglaublich komplexe Thematik verhandelt. Ein ganzes Leben, es ist eine Lebensspanne, die dort aufgezeigt wird, und die wird nicht nur aus der Perspektive des Dichters auf sein eigenes Leben aufgezeichnet, sondern er wendet sich damit an die Allgemeinheit und sagt: »Schaut mal, so ist es.« Und etwas so Umfängliches auf eine derartig einfache Art und Weise zu gestalten, ist doch großartig. Rühmkorf findet für sehr komplexe, aber gleichzeitig allgemeingültige Aspekte in einer individuellen Biografie sehr starke Bilder.

 

Gibt es Überraschungen im Text?

Pia Frankenberg   Das Überraschende an Rühmkorfs Lyrik ist, dass er diese unerwarteten Sprünge einbaut, die einen als Zuhörer verpflichten, permanent wach zu sein. Einerseits wird man von seiner Musikalität und Rhythmik mitgetragen und stellt sich inhaltlich auf eine Fortsetzung der Beschreibung des Alters und des Verfalls ein.

Beispielsweise in Laß leuchten! die Stelle, wo es heißt: »Langsam bis in die Krone verfilzt; / Ausfälle nicht mehr zu leugnen«. Man wird ein bisschen wehmütig und denkt: Oh, ja, ja, die Haare fallen aus und, weiß nicht, Prostata oder was einem da alles so einfällt. Und dann kommt: »Dabei weißt du genau, was du willst: / einmal dich richtig ereignen«.

Wenn ich das lese, das haut mich um. Das führt einen komplett weg von dieser auch sehr gefährlichen, so halb misanthropischen, sentimentalen, wehmütigen, selbstmitleidigen Schiene, auf die andere Dichter ganz leicht geraten würden, und vollkommen rein ins Positive, ins Jetzt, und eigentlich sagt er: »Scheißegal, wie alt du bist. Du willst noch mal richtig was rauslassen.«

 

Findet man den Autor im Gedicht?

Pia Frankenberg   Es gibt eine einzige Stelle, an der Rühmkorf aus dem Zwiegespräch mit dem Zuhörer aussteigt, wo er sich das Recht nimmt, von sich selber zu sprechen, und das macht er auf eine feine, ungeheuer bescheidene Art und Weise. Deswegen ist das so nachdrücklich. Das ist wie eine Zeichnung, die ganz, ganz fein ziseliert ist, aber einem wirklich ins Auge springt, und da sagt er: »Ich selber habe auch eigentlich nur / diesen Herzschlag mitteilen wollen. // Wie mir die Welt in die Augen-da sticht, / Wünsche, die wir verscheuchten«. Das ist so eine Wehmut, Verlustgefühle sind das eigentlich, die er da zum Ausdruck bringt. Das macht er nicht stellvertretend, sondern das macht er für sich. Und dann kommt: »Mach nicht son blödes blindes Gesicht. / Laß deine Anlagen leuchten!« Das sagt er auch sich selber: »Ist ja alles noch da. Ich kann noch dichten, vielleicht weniger. Vielleicht schreibe ich nicht mehr so viel, vielleicht habe ich nicht mehr den Output, den ich von mir erwarte, aber es ist alles da. Und so geht es dir auch!«

 

Dieses und vier weitere Gedichte im Gedichtpaten-Gespräch sind nachzulesen im Marbacher Magazin 171.172, Laß leuchten! Peter Rühmkorf – selbstredend und selbstreimend, das hier erworben werden kann: https://kurzelinks.de/137v

 

Die Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar ist noch bis 1. August 2021 zu sehen.

 

© für das Gedicht: Rowohlt Verlag, Hamburg.

 

Beitragsbild: Hut von Peter Rühmkorf. Foto: Chris Korner (DLA Marbach).

2 antworten auf “›laß leuchten!‹ pia frankenberg über peter rühmkorfs gedicht”

  1. Tom sagt:

    Sehr schöner blog-Beitrag, perfekt an einem Montagmorgen zu lesen 🙂

    Das Leuchten in den Augen sollten wir uns alle erhalten.

    Es wird auch anderswo besungen, z.B. hier:
    https://www.songtexte.com/songtext/erobique-and-jacques-palminger/wann-strahlst-du-5bef173c.html

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