Bibliothek ergänzt ihre Sammlung mit seltenen Erstausgaben verfolgter Schriftstellerinnen und Schriftsteller

Ende 2023 konnte so ein Konvolut deutschsprachiger Erstausgaben erworben werden, das sich bislang in Privatbesitz befand. Die Erstausgaben stammen aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert und ergänzen Lücken im Normalbestand, die aufgrund der Seltenheit der Titel durch das Angebot auf dem freien Markt kaum hätten geschlossen werden können. Ein Schwerpunkt des aus 117 Exemplaren bestehenden Konvoluts liegt auf Werken von in der NS-Zeit verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern.

 

Unter ihnen ist Alma Johanna Koenig, die zunächst unter dem Pseudonym Johannes Herdan kleinere Texte in Zeitschriften, u.a. in Merker und Erdgeist, veröffentlichte, bevor 1918 ihr erster Lyrikband Die Windsbraut unter ihrem eigenen Namen erschien. Die 20er-Jahre waren für sie ereignisreich: Sie heiratete und ihre Karriere als Schriftstellerin nahm Fahrt auf. Von 1925 bis 1930 lebte sie mit ihrem Mann in Algier, ihre Erfahrungen dort sind in ihrem Roman Leidenschaft in Algier (1932) verarbeitet. In den 30er-Jahren wurde ihre Ehe geschieden, sie kehrte nach Wien zurück. Dort geriet sie nach der Besetzung Österreichs in immer größere Bedrängnis, wurde aus ihrer Wohnung vertrieben und blieb dennoch bis zu ihrer Deportation 1942 literarisch tätig. Alma Johanna Koenigs genaues Schicksal ist ungeklärt, vermutlich wurde sie 1942 im Ghetto von Minsk ermordet.

 

Georg Hermann, eigentlich Georg Borchardt, gelang 1906 mit dem Roman Jettchen Gebert, der 1908 mit Henriette Jacoby eine Fortsetzung erfuhr, ein großer schriftstellerischer Erfolg. Er war ein sehr produktiver und zu seiner Zeit vielgelesener Autor und Journalist, der, lange in Berlin ansässig und auch als Kunstkritiker aktiv, mit Theodor Fontane verglichen wurde. Die nun erworbenen Ergänzungen umfassen u.a. seinen Debütroman Spielkinder, 1897 im Verlag von Friedrich Fontane erschienen, die späteren Romane Kubinke (1910) und Heinrich Schön jun. (1915) sowie das im Exil in Amsterdam erschienene Werk B. M.: der unbekannte Fußgänger (1935). Dabei ist auch ein 1921 veröffentlichter, deutschlandweit zurzeit nur im DLA nachgewiesener Privatdruck: (für meine Bekannten), in dem Georg Hermann anlässlich seines 50. Geburtstages Rückschau auf sein Leben hält. 1933 wurden seine Bücher verbrannt, er ging mit seiner Familie ins Exil in die Niederlande, wo er unter schwierigen Bedingungen weiterarbeitete. 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und ermordet. Seit 2021 erscheinen bei Wallstein seine Romane und Essays in Einzelbänden neu, auch sein zu Lebzeiten unveröffentlichter letzter Roman Die daheim blieben (2022).

 

Rudolf Krisch, der unter dem Pseudonym Rudolf Jeremias Kreutz schrieb und durch seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg zum überzeugten Kriegsgegner wurde, veröffentlichte 1919 mit seinem Debütroman Die große Phrase einen Antikriegsroman. Wie schwierig es zu dieser Zeit war, erklärter Antimilitarist zu sein, zeigt allein die Tatsache, dass Die große Phrase vor der deutschen Fassung 1917 zunächst auf Dänisch und 1918 auf Schwedisch erschien. 1933 wurden Krischs Bücher in Deutschland verboten, von 1938 bis 1945 wurde er mit Berufsverbot belegt.

 

Mit Antikriegsschriften wurde auch Wilhelm Lamszus bekannt. In Das Menschenschlachthaus, von ihm als Jugendbuch gedacht, erahnte er bereits 1912 die Schrecken des Ersten Weltkriegs und stieß beim Publikum auf lebhaftes Interesse: Das Menschenschlachthaus wurde ein Bestseller, der schon 1913 ins Englische, anschließend u.a. ins Russische, Tschechische, Dänische, Französische und Japanische übersetzt wurde und sich sehr gut verkaufte. Von offizieller Seite setzten mit dem Erfolg Repressalien ein. Vor einem Vernichtungskrieg zu warnen war nicht opportun. Die Hamburger Polizeibehörde beobachtete Lamszus seit der Veröffentlichung genau. Sie erhielt 1913 auch eine Anfrage aus Berlin, vom dortigen Polizeipräsidenten: »Geheim! – Die Polizeibehörde bitte ich ergebenst um eine gefällige Mitteilung, ob und eventuell welche polizeilichen oder gerichtlichen Schritte seiner Zeit gegen das im vorigen Herbst im Verlag von Alfred Janßen dort erschienene Buch Das Menschenschlachthaus von Wilhelm Lamszus unternommen worden sind. – Vertraulich wird bemerkt, dass die hiesigen Militärbehörden das Buch für ein antimilitaristisches Machwerk gefährlichster Art halten und demzufolge neuerdings eine Warnung der Truppe vor dem Buch veranlasst haben.«1 Das Irrenhaus, die Fortsetzung von Das Menschenschlachthaus, 1914 geschrieben, durfte erst nach dem Ersten Weltkrieg erscheinen. Lamszus fuhr fort, vor der weiterhin bestehenden Kriegsgefahr zu warnen. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten aus dem Schuldienst entlassen, seine Bücher wurden verbrannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er trotz seiner zeitlosen Werke lange in Vergessenheit. In den letzten Jahren erschienen, herausgegeben von Andreas Pehnke, im Sax-Verlag Das Menschenschlachthaus in Neuauflage sowie die Erinnerungen von Wilhelm Lamszus und eine erste Werkausgabe.

 

 

Else Feldmann war zu Unrecht lange vergessen. 1884 in Wien geboren war sie ab 1910 als Schriftstellerin und Journalistin aktiv. Selbst aus armen Verhältnissen stammend, befasste sie sich in ihren Beiträgen für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen mit den Problemen der unterprivilegierten Bevölkerung. Ab 1920 war sie freie Mitarbeiterin für die Arbeiter-Zeitung, hier erschien auch ein Vorabdruck ihres ersten Romans Löwenzahn (1921), der 1930 unter dem Titel Melodie in Moll wiederaufgelegt wurde. Ab 1934 hatte Else Feldmann, die ohnehin Schwierigkeiten hatte, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, immer größere Probleme, da mit dem Verbot der Arbeiter-Zeitung eine ihrer wichtigsten Geldquellen versiegte. 1938 wurden ihre Werke auf die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gesetzt. Wie Alma Johanna Koenig wurde sie aus ihrer Wohnung vertrieben und 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Ihre Bücher haben die Zeit der Verfolgung überdauert und sind in Neuauflagen im Milena-Verlag und der Edition Atelier erhältlich.

 

 

Es lohnt sich gerade heute, die Werke und Biografien dieser verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftsteller wiederzuentdecken.

 

 

Mit herzlichem Dank an den Übersetzer und Sammler Hans Jürgen Frick (1934–2022) und seine Familie.

 

 

Katja Buchholz

 

 

Beitragsbild: DLA Marbach (Isabell Dittrich).

  1. Die literarische Werkausgabe des Hamburger Friedenspädagogen Wilhelm Lamszus (1881–1965), hrsg. und erl. von Andreas Pehnke, Markkleeberg 2016, S. 111. []

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