Märchenhaftes Crossdressing: Krieg und Kleidung bei D’Aulnoy und Calvino

Kriegszustände lassen sich anhand bestimmter Kleidung erkennen. Umgekehrt signalisiert Kleidung ebenso den Kriegszustand. Dementsprechend prägen Kriege Kleiderordnungen und beeinflussen auch die Ausbildung von Geschlechteridentitäten. Schließlich bestimmt schon die kriegerische Kleiderordnung, wie Rüstung oder Uniform, den Krieg als reine Männerdomäne. 

 

Eine solche Verflechtung von Geschlechteridentität und Krieg lässt sich anhand des Crossdressings in sowohl in Madame D’Aulnoys Märchen Belle-Belle ou Le Chevalier Fortuné aus dem 17. Jahrhundert als auch in Calvinos Fanta-Ghirò, persona bella aus dem 20. Jahrhundert nachzeichnen. Bei D’Aulnoy ist das Märchen eine Reaktion auf die Ereignisse der Fronde und die zahlreichen Kriege von Louis XIV, während Calvinos Bearbeitung die Position Italiens im Zweiten Weltkrieg hinterfragt. Die beiden Märchen prangern gesellschaftliche und politische Missstände an und nutzen dazu die Folie eines Geschlechtertauschs, der zugleich die binären Geschlechterkonzepte, die im Kriegsfall durch die Kleidung, wie Uniform und Rüstung, verstärkt hervortreten, zumindest ambivalent porträtiert. In beiden Märchen wird anhand des Krieges gezeigt, dass Kleidung selbst das Konzept von ›Geschlecht‹ hervorbringt.

 

Ambivalenz in Bezug auf Geschlechteridentitäten wird zum einen dadurch erzeugt, dass die regierenden Herrscher während des Krieges im Gegensatz zu den Heldinnen Fanta-Ghirò und Belle-Belle als schwach und handlungsunfähig präsentiert werden. Der Beginn des Märchens Belle-Belle beschreibt eine schwere Demütigung des Königs sowie seine Ohnmacht gegenüber dem übermächtigen Gegner, gegen den er Krieg führt. Gleich im ersten Satz wird der König durch die ironische Gegenüberstellung als machtlos dargestellt, da er von Matapa übertroffen wird und dieser sich auch in den Schlachten des Krieges als siegreich erweist: »Es war einmal ein König, der war sehr liebenswürdig, sehr sanft und sehr mächtig; aber sein Nachbar, der Kaiser Matapa, war noch mächtiger als er. Sie hatten große Kriege gegeneinander geführt; [Matapa] belagerte die Hauptstadt des Königs und nahm sie ein, so dass er alle Schätze, die sich darin befanden, in seinen Besitz brachte.« In Calvinos Adaption markiert der Herrscher den Auftakt des Krieges durch einen nonverbalen Akt, indem er sich auf den entsprechenden Stuhl setzt: »[D]rei Stühle, einen hellblauen, einen schwarzen und einen roten. Wenn seine Töchter ihn am Morgen besuchten, schauten sie zuerst, auf welchem Stuhl er saß. Der hellblaue stand für Fröhlichkeit, der schwarze für den Tod und der rote für Krieg. Eines Tages kamen die Töchter in den Raum und sahen den König auf dem roten Stuhl, dem des Krieges.«

 

Zum anderen wird die Subversion von Geschlechteridentitäten in den Märchen dadurch erzeugt, dass der Kriegszustand nur durch die als Krieger verkleideten Frauen beendet werden kann. Belle-Belles prachtvolle Kriegeruniform zeichnet sich durch stereotyp männliche Kleidung und Waffen aus wie Schwerter und Helmbusch. Durch die Verkleidung profitiert sie von der männlichen Sphäre, indem sie unbehelligt reiten und reisen kann: »Es waren darin [im Kästchen] zwölf Kleider, zwölf Krawatten, zwölf Schwerter, zwölf Federbüsche und auf diese Weise alles in dutzendfacher Ausführung, die Kleider waren mit Stickereien und Diamanten verziert.« In Calvinos Märchen wird explizit auf die männliche Rüstung mit Helm, Schwertern und Knappe der Heldin verwiesen: »Das Mädchen verkleidete sich als Kriegerin, mit Helm, Rüstung, Schwert und zwei Pistolen, und machte sich mit dem Knappen Tonino an ihrer Seite auf den Weg.«

 

Beide Märchen reflektieren und hinterfragen – trotz der am Ende wiederhergestellten Geschlechtsordnung – mit subtiler Sozialkritik die geltenden Geschlechternormen durch das Crossdressing Motiv der als Krieger verkleidete Frauen. Darüber hinaus entsteht zwischenzeitlich ein homoerotischer Subtext zwischen den Herrschern und den vermeintlichen Kriegshelden (Fanta-Ghirò und Belle-Belle), der die heteronormative Ordnung in der Kriegszeit destabilisiert. Die binäre Geschlechterordnung wird durch den Krieg durcheinandergebracht, und am Ende der Märchen werden durch den Frieden die heteronormativen Beziehungsverhältnisse zwischen Mann und Frau wiederhergestellt. Durch die Heirat zwischen der nun als Frau erkannten Heldin und dem König wird der Frieden im Land geschaffen.

 

Italo Calvino: Fanta-Ghirò, persona bella. In: I.C. (Hrsg.): Fiabe italiane. Mailand 2012. S. 1115f. Hier übersetzt von Loredana Columbo.

 

Marie-Catherine D’Aulnoy: Belle-Belle ou le Chevalier Fortuné. In: Contes Nouveau ou les fées à la mode. Hrsg. von Nadine Jasmin. Paris 2008. S. 247–299. Hier übersetzt von Selina Seibel.

 

Loredana Columbo (DLA Marbach) / Selina Seibel (Universität Stuttgart)

 

Beitragsbild: Holzstich-Illustration von John Gilbert zu Belle Belle; or, the Chevalier Fortuné. Aus: Fairy Tales by the Countess d’Aulnoy. Translated by J.R. Planché. London 21856.

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