Singen! Lied und Literatur. 4. Liebe

Lieder sind der Soundtrack unseres Lebens. Wir erinnern uns an sie wie an den ersten Kuss. Lieder sind Orte, an denen sich Liebende finden. Das Ständchen, das heute nur noch im Geburtstagsständchen lebt, erklingt ursprünglich im Garten oder unter dem Fenster der Geliebten. Das sind halböffentliche Orte, da der Zutritt ins Schlafzimmer nicht gestattet ist. Das Lied, das in dieser Situation gesungen wird, ist meist schon einen Schritt weiter und antizipiert die Vereinigung. Bunt wie die Liebe sind die ausgestellten Exponate: eine ›femme fatale‹ und ein ›bad guy‹, ein Hochzeitslied, ein ›Me too‹-Lied und ein Liebeslied, das sich scheu zurücknimmt, bis es verstummt.

 

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Singen ist erhebend. Das weiß auch Kurt Tucholsky (1890–1935): »[Der] Deutsche läßt sich immer noch gern photographieren. Nicht, wie er ist, sondern wie er sich sieht und wie er gern sein möchte: […] bierigfriedlich, der Rhein säuselt sanft dahin, das Bier wallet und ein Gesangverein singt: ›Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – mir ist so sinnig zu Sinn.‹« (Kurt Tucholsky, ›Ein DeutschlandBuch‹, in: Die Weltbühne, Jg. 26, Nr. 39, 23.9.1930.)

 

Es war Clemens Brentano (1778–1842), der erstmals den Namen des Loreley-Felsens auf eine verführerische Frau übertragen hat. Aber erst durch Heinrich Heines (1797–1856) Ballade Lorelei wurde die Geschichte zu einem Mythos, der – einzeln oder im Chor gesungen – Generationen überdauerte. ›Und das hat mit seinem Liede der Friedrich Silcher getan.‹

 

Silchers (1789–1860) Widmung auf dem autographen Notenblatt steht Heinrich Heine an Ironie in nichts nach. Er beschreibt eine fiktive Fahrt am Loreley-Felsen entlang, auf der er einen Mangel bemerkt. Noch umschifft er den Felsen einer Sirene, die nicht singt. »Es fehlt mir etwas, dachte ich, als ich zur rechten Seite / Erblickt’ den hohen Felsensitz der süssen Zauberkehle, / Und flugs schrieb’ ich, damit man weiß, was dieses Bild bedeute, / Auf diese Seit’ / die Melodei / der Lorelei, / die dir so oft entströmt aus voller Seele.«

 

Gewidmet ist dieses Blatt einem Mitglied von Silchers Liedertafel. Auf der Rückseite des Notenblatts findet sich der Bleistiftvermerk »Franz Kapff Tenor Liedertafler später Rektor am Gymn[asium] Cannstatt.« Das Liedautograph gelangte später ins Silcher-Museum Schnait und von dort zusammen mit dem musikalischen Nachlass von Friedrich Silcher ins DLA.

 

Gunilla Eschenbach / Johannes Wedeking

 

Beitragsbild: Friedrich Silcher, Lorelei. Silcher hat das Blatt seinem Liedertafel-Tenor Franz Kapff gewidmet. Foto: DLA Marbach

 

Auszug aus dem Marbacher Magazin 181.182 Singen! Lied und Literatur, das die gleichnamige Ausstellung begleitet. Ab Ende September erhältlich in unserm Shop www.dla-marbach.de/shop/ oder im Buchhandel.

 

#LiteraturBewegt wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

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