außer der reihe 9: hugo von hofmannsthal

Lichtbilderschau eines Dichterlebens


 1877 | Ernst und fragend schaut das dreijährige Kind in die Kamera. Dass es sich um einen Jungen handelt, erkennt man sofort, obwohl er – wie damals üblich – ein Art Kleidchen trägt. Sein späteres Schicksal, die Literatur, liegt in Gestalt eines großen Buches auf einem kleinen Tisch neben ihm. Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal kommt am 1. Februar 1874 in Wien als eines Sohn eines Juristen und Bankbeamten und einer Notarstochter zur Welt. Die Familie hat jüdische, italienische, schwäbische und österreichische Wurzeln. Hugos Eltern erfahren nach ihrer Hochzeitsreise, dass sie im Wiener Börsen- und Bankenkrach fast das ganze Familienvermögen verloren haben. Hugo bleibt das einzige Kind.


1890 | Auf dem Klassenfoto stehen und sitzen die jungen Herren in drei Reihen hintereinander. Hugo entdeckt man direkt neben dem Lehrer – Zufall? »Frühgereift und zart und traurig« (Prolog zum Buch ›Anatol‹) lebt Hofmannsthal, gefördert von den Eltern, ganz in der Welt der Bücher und des Theaters. Schon als Gymnasiast enorm belesen, veröffentlicht er mit 16 – zunächst unter Pseudonym – erste Verse, es folgen weitere Gedichte und lyrische Dramen. Als gefeiertes Wunderkind verkehrt Hofmannsthal mit den progressiven Schriftstellern des ›Jungen Wien‹, darunter Arthur Schnitzler und Richard Beer-Hofmann. Stefan George druckt Hofmannsthals Gedichte in seinen elitären Blättern für die Kunst. Der zudringlichen Werbung Georges kann sich der attraktive Hofmannsthal erst mit einem deutlichen Brief entziehen.


1901 | Das im Studio entstandene Foto zeigt eine junge, schlanke Frau im knöchellangen Kleid. Sie wendet dem Betrachter zwar ihre linke Schulter zu (so sieht man auch ihren Rücken), erlaubt aber durch die leichte Drehung ihres Kopfs den Blick in ihr schönes Gesicht. Hofmannsthal heiratet am 8. Juni Gertrud Schlesinger, Bankierstochter aus jüdischer assimilierter Familie. Er und Gerty ziehen ins sogenannten Fuchsschlössl in Rodaun bei Wien. Das Paar wird drei Kinder bekommen. Ende des Jahres beendet Hofmannsthal seinen Versuch, eine bürgerlichen Existenz zu führen – er zieht seine bereits fertige Habilitations-Schrift über Victor Hugo zurück. Nach der Schule hatte Hofmannsthal zunächst Jura studiert, dann – nach dem Militärdienst – zur Romanistik gewechselt.


1901 | Zwei Männer im Jackett, aber ohne Krawatte, stehen auf einem Gartenweg leger nebeneinander, wie auf Zuruf blicken sie in Richtung Kamera. Neben dem Herrn links steht eine hüfthohe steinerne Vase, aus der es üppig blüht. Vertrautheit scheint das Verhältnis der beiden Männer zu bestimmen. Hofmannsthal liebt den Garten seines Hauses, auch Gäste kommen in den Genuss des großen Grundstücks »voller alter Obstbäume«. Neben Hofmannsthal zu sehen ist der Dichter Rudolf Alexander Schröder. Hofmannsthals Freundeskreis ist Teil einer Kultur, die sich vielleicht im Kaffeehaus als realem Ort und Symbol am deutlichsten verkörpert: Sie lebt aus dem persönlichen und brieflichen Austausch im Miteinander des Lebens. Zu Hofmannsthals großem Freundeskreis gehören neben Schröder u.a. Helene von Nostiz, Eberhard von Bodenhausen und Rudolf Borchardt. Mit ihnen zusammen engagierte er sich als Herausgeber und Zeitschriftenherausgeber.


1908 | Eine zerklüftete Felswand im Hintergrund, im Vordergrund karge Vegetation, im Mittelgrund ein Mann im Anzug. Er steht wohl in einer Art Senke, denn seine Beine sind nicht zu sehen. Er beugt sich, gestützt auf seine linke Hand, nach vorn und führt die rechte Hand flach an den Mund. Man muss wissen, was zu sehen ist, um die Szene zu verstehen: Hofmannsthal trinkt aus der kastalischen Quelle am Fuß des griechischen Musenbergs Parnassos. Antike Stoffe hatte Hofmannsthal selbst schon in Tragödien bearbeitet, so in Elektra und Ödipus und die Sphinx. Das reale Griechenland scheint ihn weniger interessiert zu haben: Sein Reisebegleiter Harry Graf Kessler notierte: Er »sah weder nach der Akropolis noch nach dem Olympieion«.


1911 | Im Vordergrund des Bildes ein Sofa, auf dem drei älteren Herren sitzen, dahinter stehen weitere sieben Männer, Kulturschaffende allesamt. Die Aufnahme entsteht nach der Uraufführung des Rosenkavaliers am 26. Januar in Dresden. Hofmannsthal, Librettist dieser wohl erfolgreichsten Oper des 20. Jahrhunderts, steht, die Hände auf die Sofalehne gestützt, hinter dem vorne sitzenden Komponisten des Werks, Richard Strauss. Links neben Hofmannsthal der österreichische Theater- und Filmregisseur, Intendant und Theatergründer Max Reinhardt. Neben dem Duo Lorenzo da Ponte und Mozart gibt es wohl kein so kongeniales Opern-Team wie Strauss und Hofmannsthal. Auch wenn die Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten aus München und seinem Textdichter aus Wien nicht immer einfach war, die gemeinsamen Werke gehören heute noch zum Kernrepertoire der Opernhäuser in aller Welt (u.a. Ariadne auf Naxos, Die Frau ohne Schatten und Arabella).


1920 | Die Postkarte nach einer Originalfotografie von Ernst Maier zeigt laut Beschriftung rechts unten die »Festaufführung« von Hofmannsthals Jedermann am 22. August des Jahres. Vor der barocken Fassade des imposanten Salzburger Doms mit seinen zwei hohen Westtürmen wirken Schauspieler und Zuschauer klein. Die Zuschauertribüne fasst nicht das ganze Publikum, viele stehen. Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes (so der Untertitel) – heute Markenkern der Salzburger Festspiele – wird am 1. Dezember 1911 in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt. Mit der Aufführung in Salzburg neun Jahre später vor dem Dom (eine Idee Hofmannsthals) wird eine lang bedachte Idee Wirklichkeit: In Mozarts Geburtsstadt entstehen Festspiele, die sich im bewussten Gegensatz zur One-Artist-Show in Bayreuth verstehen. Gründungsväter der Festspiele sind neben Hofmannsthal Max Reinhardt, Hermann Bahr und Richard Strauss. Die Besucher kommen bald von weit her. Auch Rudolf Borchardt, so wird erzählt, bittet einmal um Karten. Hofmannsthal besorgt sie und telegrafiert: »Sitze besorgt Rangloge.« Borchardts Antworttelegramm beweist Witz: »Warum sitzest du besorgt Rangloge?«


1929 | Der Leichnam Hofmannsthals liegt aufgebahrt auf einer Chaiselongue im Arbeitszimmer des Dichters, ein Hocker am Ende des Möbels stützt seine Füße. Auf und neben dem toten Körper im Habit des Dritten Ordens der Franziskaner liegen Blumen. Das Gesicht des Verstorbenen wirkt friedlich. »Gestern Nachmittag ist ein großes Unglück über das Rodauner Haus gekommen. Während eines schweren dumpfen Gewitters hat unser armer Franz sich durch einen Schuss in die Schläfe das Leben genommen. Die Ursache dieser schweren Tat liegt unendlich tief: in den Tiefen des Charakters und des Schicksals.« Das schreib Hofmannsthal am 14. Juli dem Freund Carl Jacob Burckhardt. Als der Dichter einen Tag später zum Leichenbegängnis seines Sohnes aufbrechen will, wird er vom Schlag getroffen. Er stirbt am Abend, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben. In seiner 1922 erschienenen Aphorismen-Sammlung Das Buch der Freunde ist zu lesen: »Wenn ein Mensch dahin ist, nimmt er ein Geheimnis mit sich: wie es ihm, gerade ihm – im geistigen Sinn zu leben möglich gewesen sei.«

 

Dietmar Jaegle

 

Beitragsbild: Tonaufnahme von 1907 in einer Edition für eine Ausstellung in der Residenz Salzburg (1959): Hugo von Hofmannsthal spricht seine Verse Manche freilich. Foto: DLA Marbach.

kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Ich akzeptiere die Datenschutzhinweise gemäß DSGVO.