außer der reihe 8: aldous huxley

Albert Hofmann hatte Huxley persönlich kennen gelernt: »Ich war (…) freudig überrascht, als ich an einem Vormittag im August 1961 im Laboratorium einen Telefonanruf von Aldous Huxley erhielt. Er war mit seiner Gattin auf der Durchreise in Zürich. Er lud mich und meine Frau zum Lunch im Hotel Sonnenberg ein. Ein Gentleman, mit einer gelben Fresia im Knopfloch, eine hohe, vornehme Erscheinung mit gütiger Ausstrahlung.«


Huxleys Name taucht immer wieder einmal auf im Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Albert Hofmann, die von 1947 bis zu Jüngers Tod 1998 im persönlichen und brieflichen Kontakt stehen. Das verwundert nicht, als Autor und Intellektueller war Huxley weit über seine englische Heimat hinaus bekannt, was sich in den Marbacher Beständen widerspiegelt. Der Online-Katalog des Deutschen Literaturarchivs Marbach weist Briefe von ihm nach – u.a. an Gustav René Hocke und Martin Gregor-Dellin – und zeigt, in welchen renommierten Zeitschriften seine literarischen Werke und Essay abgedruckt wurden, u.a. in der Europäischen Revue, der Neuen Rundschau, dem Merkur und der Neuen Schweizer Rundschau.


So umfangreich und vielfältig das Denken und Schaffen Huxleys auch war, es ist heute ein einziger Roman, ja, dessen Titel allein, den man mit diesem Schriftsteller verbindet: Schöne neue Welt [Brave New World] (1932). Auch wer den Fachbegriff ›Dystopie‹ noch nie gehört hat, weiß welche Art von Zukunft darin beschrieben wird: Schöne neue Welt erzählt wie George Orwells Roman 1984 (1949) von der vollständigen staatlichen Unterdrückung und Überwachung aller Bewohner. Die Romane 1984 und Schöne neue Welt werden oft im Vergleich gelesen, dass sich deren Verfasser auch persönlich begegnetet sind, ist aber kaum bekannt: Huxley unterrichtete 1917 am berühmten Eton College einen gewissen Eric Blair in Französisch. Huxley war damals 23, Blair 14 Jahre alt – und nannte sich später als Schriftsteller George Orwell.


Nach dem Erscheinen von 1984 bat Orwell seinen Verleger, auch Huxley ein Exemplar des Romans zu schicken. Huxley bedankte sich in einem ausführlichen Brief bei Orwell, lobte den Roman – hielt aber an seiner Zukunftsvision fest: Die Bevölkerung der Schönen neuen Welt ist sozusagen glücklich verblödet: Alpha-Plus-Menschen haben dafür gesorgt, dass die Fähigkeit der Masse zur Reflexion und zum Widerstand im Rausch von Konsum, Sex und der Droge Soma erloschen ist. Huxleys Vision vom gesteuerten Bewusstlosigkeits-Glück ist noch heute aktuell – ebenso wie Orwells Szenario der totalen Überwachung durch ein menschenverachtendes Regime.


Aldous Huxley, am 26. Juli 1894 in Godalming (Surrey) geboren, ist der dritte Sohn des Lehrers, Autors und Herausgebers Leonard Huxley und Enkel des einflussreichen Biologen Thomas Henry Huxley, den böse Zungen »Darwins Bulldogge« nannten, weil er Darwins Evolutionstheorie quasi zähnefletschend verteidigte. Aldous Huxley Großonkel mütterlicherseits ist der berühmte Dichter und Kulturkritiker Matthew Arnold, Aldous’ Halbbruder Andrew Fielding Huxley wurde Biologe und erhielt 1963 den Nobelpreisträger für Medizin. Ein verpflichtendes Erbe.


Wer für die skeptisch-distanzierte, ironische Weltsicht in Huxleys ersten Romanen eine Erklärung sucht, mag sie in drei Schicksalsschlägen finden, die den jungen Aldous treffen: Seine Mutter stirbt, als er 14 ist. Drei Jahre später, 1911, wird er aufgrund einer infektiösen Erkrankung der Augenhornhaut für ein Jahr nahezu blind – und trägt sein Schicksal klaglos. 1914 nimmt sich Huxleys Bruder Trevenen das Leben – der idealistisch-ehrgeizige junge Mann konnte aus gesellschaftlichen Gründen nicht das Mädchen seiner Wahl heiraten. Huxley Augenprobleme verwehren es ihm, aus seiner Neigung zu den empirischen Naturwissenschaften einen Beruf zu machen. Auch als sich 1912 die Sehkraft allmählich wieder einstellt, ist an die Arbeit mit optischen Geräten nicht zu denken. Seinen naturwissenschaftlichen Interessen aber bleibt Huxley ein Leben lang treu – seine diesbezüglichen Kenntnisse, verbunden mit hoher Intelligenz, sind das Fundament von Huxleys Zivilisationskritik in späteren Jahren.


Doch zunächst beginnt Huxley 1913 in Oxford, englische Literatur und Philosophie zu studieren. Rasch wechselt er von der Rolle des Literatur-Rezipienten zum -Produzenten. 1916 erscheint sein erstes Buch, der Gedichtband The Burning Wheel. Ein Jahr zuvor hatte er im intellektuellen Kreis um die legendäre Kunstmäzenin Lady Ottoline Morrell nicht nur den späteren Freund D.H. Lawrence kennengelernt, dessen natürliche Sinnlichkeit er bewunderte, sondern auch die klug-aparte Bulgarin Maria Nys. Nach dem mit Auszeichnung abgeschlossenen Studium und einem Intermezzo als Lehrer arbeitet Huxley als Journalist, Rezensent und Kunstkritiker. So kann er 1919 Mary heiraten, ein Jahr später werden die beiden Eltern. Huxleys Leben wird die nächsten Jahrzehnte vom Schreiben und Reisen, vom Austausch mit intellektuellen Freunden und Bekannten und durch seine zunehmende Wirkung in der Öffentlichkeit geprägt. Die Welt kennt ihn und er die Welt: Reisen führen ihn durch Italien, Frankreich, Indien, Indonesien, Japan und die USA, wohin die Huxleys 1937 übersiedeln.


Immer schon äußerten die Helden in Huxleys Romane dezidierte Meinungen. Man hat seine Romane mit Recht als Konversationsstücke bezeichnet: Handlung und Konflikte entstehen in und durch ausführliche Gespräche, verhandelt werden in den ersten vier Romanen Huxleys meist Themen wie Freiheit, Wahrheit und Lebensgenuss (Sex inklusive). Seine eigene Einsamkeit und die seiner Figuren vermag der »skeptische Ästhet« Huxley (Theo Schumacher) damit freilich nicht zu bannen, alle fühlen sich »stets allein und gesondert und individuell« (Kontrapunkt des Lebens, 1928). Spätestens mit dem Roman Geblendet in Gaza (1936) wird ein anderer Huxley deutlich: Verantwortungsbewusst geworden, erkennt und benennt er zunehmend hellsichtig die Probleme seiner Zeit: Kriegstreiberei und Massenverdummung, Profitgier und Umweltverschmutzung. In der philosophischen Abhandlung Ziele und Wege (1937) formuliert er lapidar: »Der Zweck kann die Mittel nicht rechtfertigen, aus dem einfachen und einleuchtenden Grund, weil die angewendeten Mittel das Wesen der durch sie erreichten Ziele beeinflussen.«


Doch Huxley ging in der Rolle als Mahner und Kämpfer für eine bessere, friedlichere Welt in Vorträgen und Texten nicht gänzlich auf. Ende der 30er-Jahre entwickelt er ein zunehmendes Interesse an Spiritualität und Mystik, besonders am Hinduismus und Buddhismus. Zum Freundeskreis der Huxleys in Hollywood gehören nicht nur Charlie Chaplin und Greta Garbo, sondern auch Swami Prabhavananda und Krishnamurti. Huxley wird klar, dass es ihm viele Jahre lediglich um »Wissen um seiner selbst willen« gegangen war. Nun kommen ihm die »größten Meisterwerke« »irgendwie unzulänglich« vor, er will »etwas über die Wirklichkeit erfahren, von der aus solche Dinge wie Kunst und Wissen sich besser bewerten lassen«. Aus diesem Impuls heraus lässt sich wohl auch Huxleys gezieltes und kontrolliertes Experimentieren mit Drogen verstehen. Über seine »Erfahrungen mit Drogen, Himmel und Hölle« berichtet er in dem Band Pforten der Wahrnehmung (1954).


Huxley, in den letzten Jahren seines Lebens u.a. Gastprofessor am MIT und in Berkeley, befreundet mit Igor Strawinsky, von Papst Johannes XXIII. in Privataudienz empfangen, stirbt am 22. November 1963 in Los Angeles. Albert Hofmann erinnert sich: »Frau Laura Huxley [Huxley hatte nach dem Tod von Mary nochmals geheiratet] sandte mir damals ihre Aufzeichnungen von den letzten Stunden ihres Gatten. Es war LSD, das ihm die Gattin auf seinen, nur noch schriftlich ausdrückbaren Wunsch injizierte. Ich besitze eine Photokopie dieser seiner letzten Schriftzüge.«


Dietmar Jaegle


Beitragsbild: Bereits im Jahr der englischen Originalausgabe erschien im Leipziger Insel Verlag die erste deutsche Übersetzung von Brave New Word. Der renommierte Übersetzer Herberth E. Herlitschka hat in Absprache mit Huxley die Handlung nach Berlin und Norddeutschland verlegt. Foto: DLA Marbach.

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