»wieder einmal zu Hölderlin gegangen« – Eine Postkarte an Celan aus der Marbacher Hölderlin-Ausstellung 1970

Poethen weiß nicht, dass Celan sie bereits gesehen hat: Wenige Wochen zuvor hat dieser in Stuttgart bei der Tagung der Hölderlin-Gesellschaft aus seinem Gedichtband Lichtzwang vorgetragen und ist im Rahmen der Veranstaltung auch in Marbach gewesen. Poethen weiß auch nicht, dass die Postkarte Celan nie mehr erreichen wird: Vermutlich wenige Tage zuvor hat er sich in der Seine das Leben genommen.

 

15 Jahre zuvor, bei seinem erstem Besuch in Tübingen, war Celan gemeinsam mit Poethen »zu Hölderlin gegangen«: Im Februar 1955 zeigte Poethen ihm dort Hölderlins Grab und auch das Hölderlin-Archiv, das sich zu dieser Zeit noch in Bebenhausen befand. Damals war gerade die Handschrift von Hölderlins Hymne Friedensfeier wiederentdeckt und von Friedrich Beißner veröffentlicht worden, die Celan dann über Jahre hinweg beschäftigt hat. Celans Exemplar der neu edierten Handschrift ist ein Exponat unserer Ausstellung Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie, an deren Ende zwei berührende Exponate stehen: die Hölderlin-Biografie von Wilhelm Michel, die man nach Celans Tod aufgeschlagen auf dessen Schreibtisch fand, und eben diese Postkarte.

Hölderlins Porträt auf der Karte aus der Marbacher Ausstellung 1970.

Wenn man die Karte genauer betrachtet, erzählt sie auch etwas zur Hölderlin-Rezeption, das über die Ausstellung von 1970 hinausgeht. Hölderlins Porträt ist auf der Karte gleich doppelt präsent: Als Schwarzweißabbildung auf der Rückseite und, rechts oben in der Ecke, als Briefmarke. Beide Darstellungen sind vom selben Original abgeleitet, nämlich dem Pastellgemälde, das Franz Karl Hiemer 1792 als Geschenk für Hölderlins Schwester zu deren Hochzeit anfertigte. Ihr hat es gefallen, allerdings bemerkte sie auch, dass »viel zur Aehnlichkeit fehlt«. Wenn unser Hölderlin-Bild trotzdem von diesem einen Bild geprägt ist, dann vor allem deswegen, weil es von Hölderlin nur sehr wenige bildliche Darstellungen gibt, neben dem Hiemer-Gemälde vor allem Bleistiftzeichnungen aus der Jugendzeit und aus der Spätzeit im Tübinger Turm.

 

Das Originalpastell konnten wir aus konservatorischen Gründen nur wenige Wochen in der Ausstellung zeigen. Wie die Postkarte zeigt, kann aus der Einschränkung aber auch ein Gewinn entstehen: Gerade durch die Reproduktion wird es zum Inbegriff des Dichterbilds – auf dem Cover von Gedichtbänden ebenso wie auf Postkarten oder eben in abstrahierter Form auf der Briefmarke zum großen Hölderlin-Jubiläum 1970.

 

Michael Woll

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